Christus spricht: Ich bin im Gefängnis gewesen, und ihr seid zu mir gekommen. … Was ihr einem von diesen meinen geringsten Brüdern getan habt, das habt ihr mir getan.“
Wer in ein Gefängnis geht, übertritt eine besondere Schwelle.
Der Unterschied zwischen „drinnen“ und „draußen“ wird einem sofort deutlich.
Vom übrigen Leben weitgehend ausgegrenzt, der Freiheit entzogen, hoch gesichert, verbringen in Wriezen straffällig gewordene männliche Jugendliche im Alter zwischen 14 und 23 Jahren eine Zeit ihres Lebens. Untersuchungsgefangene, Gefangene mit kurzen und Gefangene mit hohen Haftstrafen, Ersttäter und Mehrfachstraftäter. Viele der Jugendlichen haben eine sehr geringe Frustrationstoleranz. Sie sind sozial und vielfach auch psychisch gestört. Viele sind Drogenkonsumenten.
Der Seelsorger hat im Gefängnis eine Sonderposition. Er arbeitet in der Justizvollzugsanstalt, ist aber kein Angestellter der Justiz. Er ist Pfarrer seiner Kirche. Alle seelsorgerlichen Gespräche unterliegen der gesetzlich geschützten seelsorgerlichen Verschwiegenheit und dem Beichtgeheimnis.
Seelsorgerliche Einzel- und Gruppengespräche bilden den Schwerpunkt der Arbeit des Seelsorgers in der JVA Wriezen.
Das Themenspektrum dieser Gespräche reicht von der Tataufarbeitung, der Auseinandersetzung mit bisher der Justiz nicht bekannten Straftaten, der Einübung von Verhaltensveränderungen, der Motivation zu Therapien und deren Begleitung, bis hin zu praktischer Lebenshilfe (u.a. auch in der Entlassungsvorbereitung) und Gesprächen über Familienprobleme, Probleme mit der Partnerin, mit den Kindern, mit Mitgefangenen, mit dem Haftalltag.
Seelsorge unterscheidet zwischen dem Menschen, der Gottes geliebtes Geschöpf ist, und seinen (Straf-) Taten. Sie wendet sich allen Jugendlichen Strafgefangenen zu - unabhängig von ihrer Weltanschauung, Religion oder Herkunft. Sie geschieht in einer Atmosphäre der persönlichen Annahme. Das schließt deutliche Worte (u.a. zur Straftat) und ggf. konfrontative Gespräche ein. Der Seelsorger ist in Gesprächen über die Straftat immer auch Anwalt der Opfer.
Und manchmal ist der Seelsorger auch nur der Mensch, dem der Jugendliche von seinen kleinen oder auch größeren Erfolgen erzählen kann - in der Schule, der Ausbildung, in der Therapie oder auch, wenn es ihm gelungen ist, die Faust diesmal in der Tasche zu lassen und einen Streit mit anderen Gefangenen friedlich beizulegen oder ihm aus den Weg zu gehen; einer, der sich mitfreut, der motiviert und die Anerkennung vermittelt, die jeder braucht, um Mut und das nötige Selbstvertrauen für den vor ihm liegenden Weg zu haben.
Gefängnisseelsorge geschieht nicht im luftleeren Raum.
Im Idealfall findet sie in unabgesprochener und kritischer Zusammenarbeit mit den in der Justizvollzugsanstalt arbeitenden Psychologen, Sozialarbeitern und Mitarbeitern des Vollzugsdienstes statt.
Unabgesprochen ist diese Zusammenarbeit, weil die Inhalte der seelsorgerlichen Gespräche natürlich der absoluten Verschwiegenheit unterliegen.
Und dennoch müssen sich die anderen Mitarbeiter auf den Seelsorger verlassen können. Und er sich auf sie.
Neben den Seelsorgegesprächen bietet der Seelsorger Gottesdienste (10% bis 30% der Gefangenen kommen zum Gottesdienst, 5 - 10% der Gefangenen sind Christen), eine Bibel-Gesprächsgruppe, Kreativ-Arbeitsgemeinschaften (Malen, Gestalten) und für Jugendliche, die die JVA bereits für ein paar Stunden in Begleitung verlassen dürfen, das Projekt "Ehrenamtliche Arbeit draußen" an. Hier arbeiten die Jugendlichen - ein viertel Jahr lang, an einem Nachmittag in der Woche - zusammen mit Ehrenamtlichen aus der Kirchengemeinde auf dem Friedhof oder am Kirchengebäude. Sie können sich körperlich ausagieren. Sie erfahren Anerkennung und Wertschätzung durch ihrer Hände Arbeit und sie sind - auf Zeit - aufgenommen in die Gemeinschaft der Kirchengemeinde. In der Pause werden sie von Frauen der Kirchengemeinde bewirtet.
Die Jugendlichen Strafgefangenen können nach ihrer Entlassung für eine bestimmte Zeit mit dem Seelsorger in Kontakt bleiben, wenn sie das möchten (Krisenintervention, Vermittlung von Hilfsangeboten).
Und auch das gibt es: Da meldet sich einer nach längerer Zeit, nur um zu erzählen, dass er seit seiner Entlassung straffrei lebt, dass er es geschafft hat. Das passiert nicht sehr oft, gehört aber zu den schönsten Momenten in der Arbeit als Gefängnisseelsorger.